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Buchpräsentation im Staatsarchiv

4. April 2025

Amsél alias Franziska Selma Muheim hat einen Roman über ihren Vater, den Urner Physiker Jules Traugott Muheim (1935 bis 1997), geschrieben. Das Buch beleuchtet die Geschichte ihrer Familie im Lauf von vier Generationen und zeigt, wie eine Tochter den verstorbenen Vater zu verstehen versucht. Am 10. April 2025 präsentiert Amsél ihr Buch im Staatsarchiv Uri.

Traugott Z. ist Physiker mit Leib und Seele. Bereits beim ersten Betreten des Hauptgebäudes der ETH Zürich als blutjunger Neustudent überwältigen ihn Glücksgefühle, die er vorher nicht gekannt hatte. An der ETH ist er in jener Welt angekommen, in der er sich fortan mit Hingabe und Begeisterung bis an sein Lebensende bewegen wird. 1935 geboren, verbringt Traugott Z. seine ersten Kindesjahre im Dorf Flüelen im Hotel-Restaurant «Rose», das seine Eltern oder besser gesagt seine Mutter zusammen mit den Kindern führt, da der Vater tagsüber als Elektriker auswärts Geld dazuverdient. Der hübsche Junge fällt in der Dorfschule mit aussergewöhnlichen Leistungen im Rechnen auf. Alle Kenntnisse zu jedem neuen Thema eignet er sich rasch und ohne Schwierigkeiten an, und er zeigt sich danach in der Schulstunde gelangweilt, was sich negativ auf die Kameradinnen und Kameraden und auf die Stimmung im Klassenzimmer auswirkt. So kommt Traugott mit zehn Jahren ins Internat nach Schwyz, wo er sechs Jahre später die Matura Typus A (mit Griechisch und Latein) mit Bestnoten abschliesst.

Geschichte einer Urner Familie
In ihrem Roman erzählt Amsél alias Franziska Selma Muheim die Geschichte einer Urner Familie. Den Mittelpunkt bildet das Hotel-Restaurant «Rose» in Flüelen, wo der vom Schicksal nicht eben begünstigte Vater des späteren Physikers Traugott Z. versucht, das Beste aus den wechselnden Umständen zu machen. Er und seine Familie müssen den Verlust zweier Ehefrauen und Mütter verkraften. Erschwerend dazu kommt die Aktivdienstzeit des Zweiten Weltkriegs. Gemeinsam mit den Kindern und mit Hilfe des Umfelds hält er jedoch den Kopf über Wasser und ermöglicht dem Sohn das Physikstudium. Die Ich-Erzählerin Anita ist die Tochter von Traugott Z. Sie verbringt ihre ersten Jahre in Schwyz, kommt dann aber zusammen mit Vater, Mutter und Schwestern rasch nach Zürich, wo der Vater eine Anstellung an der als Institut bezeichneten ETH erhält.

Den Rahmen des Romans bilden prägende Ereignisse der Urner- und der Zürcher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Schlaglichtartig erfährt man von der Not und der Ernüchterung der Urner Bauern infolge der schädlichen Vernebelungsversuche der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkriegs und man hat Teil an der Trauer der Hinterblieben, die 1949 ihre Liebsten bei einem Schiffsunglück auf dem Urnersee verlieren. Die Erzählerin Anita schliesslich erlebt mit Jahrgang 1960 die Studentenunruhen in Zürich und den Kampf der Jugend gegen die erstarrten gesellschaftlichen Strukturen der 1950er- und 1960er-Jahre. Die Leidenschaft des Physikers für seinen Beruf und vielleicht auch das damals übliche bürgerliche Familienmodell – er macht Karriere, sie kümmert sich um die Familie und den Haushalt – belastet die Beziehung des Paars Muheim zunehmend, bis die Mutter 1977 die Familie Knall auf Fall für einen anderen Mann verlässt. Traugott Z. findet sich als alleinerziehenden Vater mit drei halbwüchsigen Töchtern nicht richtig zurecht.

Alles ist mit allem verbunden
Neben seinen anerkannten Leistungen im Bereich der Festkörperphysik arbeitet Traugott Z. an einem umfassenden wissenschaftlichen Modell, das er als Wechselwirkungskosmologie bezeichnet. Kurz gesagt geht es darum, dass im Universum alles mit allem systematisch und aufgrund naturwissenschaftlicher Gesetzmässigkeiten verbunden ist. Es gäbe deshalb keine Zufälle, jedoch sei es dem menschlichen Verstand bisher nicht gelungen, diese herrschenden Gesetzmässigkeiten zu verstehen und zu entschlüsseln. Diesem Thema, was der Suche nach dem Urgrund des Daseins und der Suche nach Gott gleichkommt, widmet Traugott Z. sein Leben. Bei der Gemeinschaft der Physikerinnen und Physiker trifft er mit seiner Suche mehrheitlich auf Ablehnung und muss zeitweise fürchten, seine Stelle an der ETH zu verlieren. Dennoch bleibt er hartnäckig und lässt sich nicht beirren.

Nachlass im Staatsarchiv Uri
Nach dem plötzlichen Herzinfarkttod von Jules Traugott Muheims kümmerten sich die Töchter um den Nachlass. Im Staatsarchiv Uri erhielten sie einen Platz für die Dokumente des Urner Physikers. Lange blieben die Unterlagen unbearbeitet. Während der Zeit der Pandemie, mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod Muheims, bearbeitete Amsél den Nachlass im Staatsarchiv. Dieser erneuten Begegnung mit dem Vater, seiner Theorie und seinem beruflichen und privaten Umfeld, widmet Amsél im Roman verschiedene Kapitel. Anschaulich wird die tastende Annäherung an den Vater sichtbar – und der Versuch, dessen Antrieb und Leidenschaft zu verstehen.

Die Geschichte von Traugott Z. und seiner Familie ist zwar von der Autorin erfunden. Sie zeigt jedoch viel Ähnlichkeit mit der Biografie Jules Traugott Muheims. Beim Lesen des Romans ist trotzdem Vorsicht geboten. Wie Amsél im Vorwort selbst warnt, wurde den Figuren «viel angedichtet», und im Gegenzug wurde auch viel Reales weggelassen. Der Autorin gelingen damit fantasievolle und stimmige Charakterisierungen der Protagonisten, was die Lektüre zu einem anregenden Vergnügen macht. «Die Erfindung meines Vaters» offenbart viel vom Bild, das sich die Autorin von ihrem Vater macht. Und nicht zuletzt zeichnet Amsél die Suche nach ihrem eigenen Platz in unserer vielschichtigen Welt herzerwärmend und selbstironisch nach.

Die Präsentation von Amséls Roman «Die Erfindung meines Vaters» (Biel 2024) findet am Donnerstag, 10. April 2025, 19.30 Uhr, im Staatsarchiv Uri an der Bahnhofstrasse 13 in Altdorf statt. Der Eintritt ist frei. Moderiert wird der Anlass von Pablo Haller, Journalist und Spoken-Word-Künstler. Für die musikalischen Beiträge sorgt Jazzpianist Pascal Dittli.

Jules Traugott Muheim bei der Arbeit mit dem Massenspektrometer in einem Labor der ETH Zürich, 1970er-Jahre.
Jules Traugott Muheim bei der Arbeit mit dem Massenspektrometer
in einem Labor der ETH Zürich, 1970er-Jahre.

Rückfragen von Medienschaffenden:
Dr. Hans Jörg Kuhn, Vorsteher Amt für Staatsarchiv
Telefon 041 875 22 24, E-Mail hansjoerg.kuhn@ur.ch